Vor 75 Jahren:
Erklärung der deutschen Bischöfe zum Grundgesetz

Abdruck nach: Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin, Stück 7, 1. Juli 1949, Nr. 69, S. 25–28.

Die Würfel sind gefallen. Das einerseits heißersehnte und andererseits von vielen mit banger Sorge erwartete Grundgesetz ist vom Parlamentarischen Rat in Bonn beschlos­sen und von zehn Landesparlamenten angenommen worden. Wir Bischöfe und mit uns das um das Wohl unseres Vaterlandes besorgte katholische Volk wissen, wie unent­behrlich für den Wieder­aufbau unseres staatlichen Lebens eine rechtliche Grund­lage war und ist. Es war unser aller auf­rich­tiger Wunsch, daß das Grundgesetz nicht nur zur Wiederherstellung des Ansehens unseres so tief gedemütigten deutschen Volkes in der Welt beitragen, sondern auch der all­gemeinen inneren Befriedung dienen sollte. Gleichzeitig sollte es eine öffentliche und feier­liche An­erken­nung der »schon in der Natur gegebenen, ewig gültigen, durch Christus neu ge­festigten und voll­endeten Gottes­ordnung« sein, ohne die für ein Volk auf die Dauer ein glück­liches und gesundes Leben unmöglich ist.
Wir Bischöfe und das katholische Volk hatten – und zwar einmütig mit den evangelischen Kir­chen­leitungen und dem evangelischen Volks­teile – eine Reihe von Forderun­gen an die Mit­glieder des Parlamen­tarischen Rates gerich­tet, die die allgemeinen Grund­rechte der Men­schen, der Familie und der Kirche betreffen. Vor allem wurde gefor­dert, daß das Grundgesetz die Gewissens­freiheit und das Eltern­recht proklamieren, sowie die zwischen Staat und Kirche bestehenden Vereinbarungen anerkennen müsse. Wir verlangten, daß das Recht der Eltern, die Erziehung der Kinder zu bestimmen, vor der Schule nicht haltmachen dürfe und sich auch auf die Fest­legung des religiösen Charakters der öffent­lichen Pflicht­schule (Volksschule), die ihre Kinder besuchen müssen, zu erstrecken habe. Eingehend war dieses natürliche Recht der Eltern begründet worden. Für dieses Recht sind nicht nur wir Bischöfe in aller Klarheit ein­getreten, sondern hat sich auch das katho­lische Volk – vor allem die katho­lische Eltern­schaft – in machtvollen Kundgebungen und überzeugenden Abstimmun­gen unzwei­deutig aus­gespro­chen. Ja, man kann sagen: Die Mehr­heit des Volkes verlangt die An­erken­nung dieses vol­len Elternrechtes.
Bei einer ernsten Prüfung der im Grund­gesetz festgelegten einzelnen Bestim­mungen müssen wir folgendes feststellen:

1. Die Präambel des Grundgesetzes enthält die Anrufung Gottes; eine Reihe von Grund­rechten der Menschen sind klar zum Ausdruck gekommen, so auch das »Recht auf Leben und Un­versehrt­heit des Körpers«. Dadurch wird festgelegt, daß auch das ungeborene Leben in Zukunft gesetzlich geschützt ist. Staatliche Gewalt ist gehindert, willkürlich Eingriffe in die Unversehrtheit des Körpers vorzunehmen, wie es in der Vergangen­heit durch die Steri­li­sa­tions­gesetze geschehen ist.
Die Ehe und Familie sind unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt.
Pflege und Erziehung der Kinder werden als das natürliche Recht der Eltern und die zu­vör­derst ihnen obliegende Pflicht erklärt. Dieses umfassende Erziehungs­recht der Eltern hat Auf­nahme in den Katalog der unverletz­lichen Menschen­rechte gefunden.
Der Religionsunterricht muß schulplan­mäßiges Lehr­fach in den öffentlichen Schulen sein. Alle Schul­arten, auch die Berufsschulen, sind hier eingeschlossen. Aus der Wei­marer Verfas­sung ist allerdings die Besti­mmung übernommen, daß die »bekenntnis­freien« Schulen aus­genom­men sind. Es handelt sich, wie es auch bei der Weimarer Verfassung der Fall war, nur um die früheren weltlichen Volks­schulen. Die Bestimmung wird hoffent­lich alle ver­ant­wortungs­be­wußten Eltern abhalten, ihre Kinder solchen Schulen, wenn sie wieder entstehen sollten, an­zuver­trauen. Der Religions­unterricht ist nach dem Wortlaut des Grund­gesetzes in Überein­stimmung mit den Grund­sätzen der Kirche zu erteilen. Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß die Kirche über den Inhalt und die mit dem Inhalt in engster Verbindung stehende religions-pädagogische Methode dieses Un-|[26]terrichtes zu bestim­men und daß sie die Vollmacht zur Erteilung des Religions­unterrichtes zu geben hat, aber auch das Recht besitzen muß, fest­zu­stellen, ob der Religions­unterricht in Über­ein­stimmung mit ihren Grundsätzen erteilt wird. Die einzelnen Länder, die diese Frage in ihrer Gesetz­gebung näher regeln werden, können dies nur im Ein­vernehmen mit der Kirche tun. Sie werden es als selbst­verständliche Pflicht be­trach­ten, nicht in die unver­äußer­lichen Rechte der Kirche einzugreifen.
Die Unterrichts­freiheit ist grundsätz­lich ausgespro­chen, und das Privat­schulwesen hat eine Regelung erfahren, die zwar nicht in allem befriedigt, aber als annehmbar bezeichnet werden kann. An dieser Stelle ist auch den Eltern – und zwar im gesamten Bundes­gebiet – das Recht auf eine private Bekenntnis­schule für ihre Kinder gegeben, wenn eine öffentliche Volksschule ihres Bekenn­tnisses nicht vorhanden ist.
Die Kirchenartikel der Weimarer Verfassung sind übernommen. Es handelt sich um Art. 136: (Schutz der Freiheit des Bekenntnisses und der Ausübung der Religion), Art. 137: (An­erken­nung des Rechtes der Kirche auf Selbstverwaltung, auf Besteuerung, auf Öffent­lich­keits­recht), Art. 138: (Schutz der Vermögensrechte), Art. 139: (Sonntagsruhe), Art. 141: (Garantie der An­stalts­seelsorge). Wir können der damit getroffenen Regelung im allgemeinen zustimmen. Wir Bischöfe werden aber zu einzelnen dieser Punkte Rechts­verwahrung einlegen, wie es die deutschen Bischöfe auch im Jahre 1919 als ihre Pflicht an­gese­hen haben. Diese Rechts­ver­wahrung wird sich auch auf andere Regelungen beziehen müssen.
Im sogenannten Vertragsartikel ist gesagt, daß die Staats­verträge des früheren Deutschen Rei­ches, soweit ihr Inhalt in Zukunft in das Zuständig­keits­gebiet der Länder gehört, von die­sen zu beachten sind, bis sie selbst neue Verträge mit den betreffenden Part­nern ab­geschlos­sen haben. Da das Reichs­konkordat als rechtsgültig abgeschlossen und weiter­bestehend an­gesehen werden muß – hierfür liegen die Gutachten hervor­ragender Rechts­lehrer vor – , kann es keinem Zwei­fel unter­liegen, daß die Länder verpflichtet sind, die Bestimmun­gen des Reichs­kon­korda­tes zu erfüllen. Dem klaren Wort­laut der ersten Fassung sind später Zusätze hin­zu­gefügt worden, die zu Miß­ver­ständ­nisses Anlaß geben könnten. Wir bedauern, daß die­se Zu­sätze, die wir von Anfang an miß­billigt haben, im endgültigen Wortlaut stehen­geblieben sind.
Der Heilige Vater, der mit besonderer Betonung hervor­gehoben hat, wie gewissenhaft der Heilige Stuhl die Bestimmungen des Reichs­konkordates vor 1945 und nach 1945 eingehalten hat, erwartet von der Vertrags­treue des neu sich aufbauenden Staates, daß auch das Reichs­konkordat anerkannt und beobachtet wird. Auch wir vertrauen auf den Rechts­sinn und die Anerkennung der Treuepflicht bei allen maß­gebenden Stellen, nicht zuletzt beim deutschen Volke selbst, dem es Ehren­sache sein wird, sich an bestehende Verträge zu halten.

2. Wir begrüßen es dankbar, daß so einer Reihe von Einzel­forde­rungen in vielfacher Hinsicht entsprochen wird; das christ­liche Volk wird dies zu würdigen wissen.
Wir dürfen uns dadurch aber nicht darüber täuschen lassen, daß es nicht gelungen ist, dem ganzen Grund­gesetz die tiefere religiöse Begründung zu geben, um deren Verankerung christ­lich denkende Abgeordnete sich so sehr bemüht hatten. Auch die Anrufung Gottes als solche allein ändert an diesem Grundcharakter noch nichts. Dieses Bedenken ist um so ern­ster, als die Mehrheit des Parlamen­tarischen Rates es ab­gelehnt hat, von »gott­gegebenen« Men­schen­rechten zu sprechen, welcher Antrag ausdrücklich gestellt war.
Zu unserem tiefsten Bedauern müssen wir weiterhin auf zwei Punkte hinweisen, die unsere schärfste Kritik herausfordern und den Wert des Grund­gesetzes wesentlich herabmindern:
a) Das Recht der Eltern, den religiösen Charakter der öffentlichen Pflicht­schule, die ihre Kinder besuchen müssen, zu bestimmen, ist trotz der klaren Begründung aus dem Naturrecht, dem historischen Recht und dem Wieder­gutmachungsrecht, trotz unserer sooft aus­gespro­chenen Forderungen und Warnungen, trotz der einmütigen und geschlossenen Haltung des christ­lichen Volkes nicht aus­drücklich als für das gesamte Bundes­gebiet gültig in das Grund­gesetz auf­genommen worden. Eine schwache parla­mentarische Mehr­heit hat alle dies­bezüg­lichen An­träge ab­gelehnt. Selbst der Artikel 26 der von den Vereinten Nationen angenom­menen Char­ta der Menschen­rechte, der das Eltern­recht in umfassender Weise ausspricht, wur­de abgelehnt. Die Angriffe, die bei dieser Gelegen­heit gegen ein uns heiliges Recht gerich­tet worden sind, werden schmerzlich in der Erin­nerung der deutschen Katho­liken haften bleiben.
Durch dieses Verhalten der Mehrheit des Parlamentarischen Rates müssen der Gesamt­episkopat und der ganze christliche Volksteil sich aufs schwerste ge­kränkt fühlen. Die Er­war­tun­gen, die wir alle während des Kampfes um Gewissens­freiheit und Recht zur Zeit des National­sozialismus auf die ersehnte Zeit einer wieder­hergestellten Freiheit gesetzt hatten, sind dadurch aufs bitterste enttäuscht worden. Wir hatten unsere Forde­rungen erhoben, weil wir der Über­zeugung sind, daß eine Verfassung – und letzten Endes ist auch das Grund­gesetz eine Verfassung – nur dann die geeignete Grund­lage zu einem glücklichen Wieder­aufstieg unseres Volkes sein kann, wenn sie die Gewissens­freiheit aufs treueste achtet und schützt und wenn sie natur­gegebene Rechte – wie das Eltern­recht – voll an­erkennt. Wir hatten die Forde­rung erhoben, nicht um in die Kultur­hoheit der Länder einzu­greifen, sondern um die Länder zu ver­hindern, Rechte zu verletzen, die unverletzlich sind. Wir wissen, daß durch die Nicht­auf­nahme dieses Rechtes in das Bundes­grundgesetz die Länder nicht gehindert sind, ihrerseits dieses Eltern­recht anzuerkennen. Wir wissen aber auch, daß in den Ländern, in de­nen eine sozialistisch-liberali­stische Mehr­heit regiert, die Anerkennung dieses Rechtes auf dieselben Schwierig­keiten stoßen wird, die wir im Parlamen­tarischen Rat erlebt haben. Das Grund­gesetz bleibt so mit einem schweren Makel behaftet. Es wird vom christ­lichen Volks­teil immer als un­erträglich empfunden werden, daß im Wort­laut des Grund­gesetzes das Eltern­recht in seiner Anwendung auf die Schul­erziehung nicht ausdrücklich an­erkannt worden ist. Dessen un­geach­tet bleibt seine Anerkennung im ganzen Bundes­gebiet ein unveräußer­licher An­spruch der christ­lichen Eltern, den sie nach wie vor besitzen und auf den sie nicht ver­zichten und nicht verzichen können.|[27]
Wir sprechen den christlich gesinnten Abgeordneten, die für das volle Elternrecht eingetreten sind, unseren Dank aus. Wir danken ihnen, daß sie sich zum Schluß noch für eine Volks­abstimmung in der Frage des Eltern­rechtes eingesetzt haben, um dem Volke selbst Ge­legen­heit zu geben, seinen Willen in demokra­tischer Weise zum Ausdruck zu bringen. Die Gegner des vol­len Elternrechtes haben sich dadurch ein schlechtes Zeugnis ausgestllet, daß sie aus Furcht vor der Ent­scheidung des Volkes diese demokratischste aller Lösungen zurück­gewiesen haben.
b) Und noch auf einen anderen Fehler des Grundgesetzes müssen wir hinweisen: auf die sogenannte »Bremer Klausel«. Gewiß hat sie im letzten Augen­blick eine Abschwächung erfahren. Das Grundgesetz schützt nicht mehr eine Regelung, die dem Staat das Recht gibt, von sich aus einen kirchlich nicht gebundenen Religions­unterricht einzurichten – wie er in Bremen besteht – und ihn inhaltlich zu bestimmen. Aber nach wie vor versucht der Artikel, für einzel­ne Fälle eine Ausnahme von der Ver­pflichtung zu ermöglichen, daß der Religions­unterricht in allen Schulen schulplan­mäßiges Lehrfach sein soll. Die gleiche kleine Mehr­heit von Abgeord­neten hat an dieser Ausnahme­regelung festgehalten, gegen die wir den nach­drückliststen Einspruch erheben.
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Ein Teil der christlichen Abgeordneten hat dem Grundgesetz die Zustimmung verweigert. Ein Teil hat trotz schwerster Bedenken die Zustimmung gegeben, um in diesem Augenblick dem deutschen Volke die Bildung der neuen staatsrechtlichen Grundlage nicht vorzuenthalten und in dem ausgesprochenen Willen, auf der Grundlage dieses für uns Erreichten den Kampf um die noch nicht erreichten Ziele weiter fortzusetzen. Jeder wird die Schwere der Verant­wortung fühlt haben.
Was das Volk betrifft, so müssen wir fest­stellen, daß es weder die Abgeord­neten des Parlamen­tarischen Rates direkt wählen und direkt beauftragen konnte, noch die Abstimmung innerhalb der Länder in die Hand des Volkes gelegt worden ist. So kommt das Grundgesetz zustande, ohne eigent­liche Mitwirkung des Volkes selbst. Eine Verant­wortung allerdings trägt das Volk – wenn nicht unmittelbar, dann mittelbar – , nämlich durch die Wahlen, die es zu den Landes­parlamenten vorgenom­men hat. Die Ergeb­nisse dieser Wahlen waren mit­bestimmend für die Mehr­heits­verhältnisse im Parla­mentarischen Rat.
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Angesichts der nun entstandenen Situation fühlen wir Bischöfe uns verpflichtet, eine Erklärung abzugeben, der – so glauben wir zu wissen – das ganze katholische Volk zustimmen wird:
Wir können dieses Grundgesetz, das es an der ausdrücklichen Anerkennung eines so wesentlichen und unveräußerlichen Grundrechtes – wie des vollen Elternrechtes – fehlen läßt, nur als ein vorläufiges betrachten, das baldigst einer Ergänzung bedarf. Wir werden den Kampf um die Gewissens­freiheit und volles Elternrecht nicht einstellen. Wir wiederholen, was wir bereits in unserer Erklärung vom 11. Februar d. J. in Pützchen bei Bonn gesagt haben: »Auf diese Forderung können und werden wir – das stellen wir im Bewußtsein unserer Ver­ant­wortung in aller Öffent­lichkeit fest – unter keinen Umständen verzichten.« Mit dieser Ab­leh­nung unserer Forderung ist uns ein Kampf aufgezwungen, der zu verhindern gewesen wäre und der nicht hätte zu entstehen brauchen, wenn man unseren ernsten Mahnungen, die dem inneren Frieden im Volke dienten, Gehör geschenkt hätte.
Daß man sich über alle Mahnungen, ebenso wie über den eindeutigen Willen der großen Mehrheit unseres Volkes hinweggesetzt hat, bedeutet ein gefährliches Spiel mit diesem Frieden unseres Volkes. Man wollte dem christlichen Volke die von ihm geforderte Be­kennt­nis­schule nicht allgemein ermöglichen und daher weigerte man sich, das volle Eltern­recht anzuerkennen. Darin liegt eine Ver­gewaltigung des Gewissens unserer christlichen Eltern, die sich vor Gott verpflichtet fühlen und die verpflichtet sind, ihren Kindern eine Erziehung gemäß ihrer Glaubens­überzeugung zu geben. Im Gegensatz hierzu würde die Annahme unserer Forderungen allen Gewissens­zwang ausgeschlossen und allen deutschen Eltern Freiheit gegenüber totalitären Machtansprüchen des Staates gesichert haben. Nie und nimmer wird das deutsche Volk zur Ruhe kommen, solange die weltlichen Machthaber nicht in echter Toleranz und Weitherzigkeit die innere Überzeugung der christlichen Staatsbürger re­spek­tieren, und solange der Staat bei der Regelung der Schul- und Er­ziehungs­frage die ihm gezogenen Grenzen über­schreitet und es ablehnt, bei der Gestaltung des öffent­lichen Schul­wesens dem Willen der Eltern gebührend Rechnung zu tragen.
Das christliche Volk wird eine Änderung des Grundgesetzes erstreben müssen. Es wird auch auf der Länderbasis um unser Ziel ringen. Sollte einmal eine endgültige Verfassung für das gesamte deutsche Volk gegeben werden können, dann wird es in die Hand des Volkes gelegt sein, ob die dafür maßgebende National­versammlung die entsprechende Mehrheit für unsere Forderungen aufweist. Behutsam muß darüber gewacht werden, daß das Reichs­konkordat beobachtet wird. Es bietet für uns die unanfechtbare Rechtsgrundlage für das Weiterbestehen der Bekenntnisschule in allen deutschen Ländern.
Unser Volk weiß jetzt, welche wichtigsten kulturellen Fragen im öffentlichen Leben zur Entscheidung stehen. Bei den zukünftigen Wahlen wird es die Antwort geben auf die in Bonn durch die parlamentarische Mehrheit erfolgte Zurückweisung seines Rechtsanspruches. Bei den bisherigen Wahlen hat es zu wenig an diese entscheidenden Fragen gedacht. Dieser Vor­wurf trifft nicht in letzter Linie das große Heer der Nichtwähler. In Zukunft muß es jedem christlich denkenen Menschen klar sein, daß er zu wählen im Gewissen verpflichtet ist und daß er nur solchen Männern und Frauen seine Stimme geben darf, die für Gewissensfreiheit und volles Elternrecht einzutreten entschlossen sind. Wir werden uns aber auch vor die Aufgabe gestellt sehen, zu prüfen, wie weit die Monopol­stellung der öffentlichen Schule, die in einem so großen Umfang festgestellt werden muß, länger ertragen werden kann. Wir erkennen die Rechte des Staates auf dem Gebiet der Schule an, soweit sie seiner Natur und seinen Aufgaben entsprechen. Wir werden aber in der Zukunft die ihm von seiner Natur gezogenen Grenzen klarer sehen und für eine Entwicklung eintreten, die auch dem freien Schulwesen die volle Ent­faltungs­möglichkeit gewährleistet. Im ganzen Schulwesen muß den Erstverantwortlichen der berechtigte Einfluß gewährt werden, und müssen alle Ver­ant­wort­lich­keiten so verteilt werden, wie es der rechten Ordnung zwischen Familie, Staat und Kirche, zwischen Staat, Gemeinden und freien Gemeinschaften entspricht.
Unser entschlossener Wille, für eine gerechte und freiheitliche Ordnung des Schulwesens einzutreten, möge vor allem den katholischen Eltern in den Ländern zum |[28] Trost und zur Aufrichtung gereichen, in denen – wie die augenblicklichen politischen Mehrheits­verhältnisse liegen – zunächst wenig Hoffnung besteht, daß dort das volle Elternrecht ernkannt wird. Gerade ihnen und ihrer Lage galt unser Bemühen, wobei wir nicht zuletzt an die vielen katholischen Flüchtlingseltern dachten, die sich zu all ihrem Leid nun auch noch von der Gefährdung eines Rechtes bedroht sehen, das ihnen so teuer ist wie die Seelen ihrer Kinder.
In dieser unserer Erklärung haben wir naturgemäß jene Forderungen an die politischen Faktoren des neugegründeten Bundes in den Vordergrund gestellt, deren Dringlichkeit uns in dieser Stunde durch die Mängel des Grundgesetzes und die Vorgänge ei seinem Entstehen vor Augen geführt wurde. Wir fühlen uns aber auch verpflichtet, an diesem Wendepunkt deutscher Geschichte eine Forderung zu erneuern, die bisher schon immer von uns im Namen der Gerechtigkeit und der Liebe erhoben wurde, die Forderung nach sozialem Fortschritt. Die soziale Not und das soziale Unrecht, die heute mehr denn je das Leben unseres Volkes, ja unsere Volksgemeinschaft selbst bedrohen, erfüllen uns Bischöfe mit der größten Besorgnis. Will die neue Bundes­republik ihre Aufgabe durchführen, der Wohlfahrt des deutschen Volkes, einem echten Aufbau und dem Frieden zu dienen, dann muß sie sich mit besonderer Hingabe um eine tiefgreifende Verbesserung der sozialen Verhältnsse bemühen. Hier liegt insbesondere für die politischen Parteien eine dringende Verpflichtung vor.
Wir unsererseits dürfen und werden auch in Zukunft nicht müde werden, die von den Päpsten in ihren Enzykliken schon seit langem aufgestellten Grundsätze für soziale Ordnung zu verkünden und auch die katholischen Laien aller Stände zu ermahnen, für die endliche Verwirklichung dieser Grundsätze sich mit aller Ent­schiedenheit einzusetzen.
Wir Bischöfe und alle Gläubigen fühlen uns in dieser Schicksalsstunde unserem gesamten deutschen Volke in Liebe verbunden. Wir werden in freudiger Zusammenarbeit mit allen anderen gutwilligen Kräften uns einsetzen für einen gesunden Wiederaufbau unseres Volkes, der in gleicher Weise dem inneren Frieden wie dem Völkerfrieden dient.
Wir fordern unsere Gläubigen auf, sich mit uns im Gebet zu Gott zu vereinigen, auf daß unsere Hoffnungen sich erfüllen.

Köln, den 23. Mai 1949.
Im Auftrage der Erzbischöfe und Bischöfe der Fuldaer Bischofskonferenzen.

Joseph Cardinal Frings,
Vorsitzender.