Otto Riedel

Wolfgang Knauft, Nie mit leeren Händen. Dompropst Otto Riedel begeht seinen 75. Geburtstag [Auszug], in: Katholische Sonntags-Zeitung, Nr. 35, 3./4. September 2005.

Als Joachim Kardinal Meisner im Jahre 1987 den Westberliner Theologen- und Priesterreferenten an die Spitze des Berliner Domkapitels berief, war dieser ein Dompropst, der seine Kathedrale nur im Aus­nahmefall stundenweise mit einem Passierschein betreten konnte. Zu den allgemeinen Anomalien der geteilten Stadt gehörte jahrzehntelang auch das in West und Ost geteilte Domkapitel bei St. Hedwig. […]
Drei mit wichtigen Daten für Berlin verbundene Ereignisse haben seinen Lebensweg geprägt. Der Luft­krieg traf ihn und seine Familie noch kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 3. Februar 1945, mit voller Härte. Sie verloren, wie viele im Berliner Südosten, bei dem alliierten Großangriff, dem auch die nahe gelegene St.-Michael-Kirche zum Opfer fiel, in wenigen Minuten Hab und Gut. Die beiden späteren Er­eig­nisse im Jahre 1989 und 1996, die dann für den 1956 in Rom geweihten Priester be­son­ders bedeut­sam waren, kamen ebenfalls ohne eigenes Zutun.
Die Bischofswahl im Frühjahr 1989 musste der Dompropst noch unter den Bedingungen des ge­spal­tenen Bistums leiten. Erst der Fall der Mauer, der das Leben ganz Deutschlands veränderte, eröffnete auch dem Domkapitel die uneingeschränkte Wiederaufnahme der eigentlichen Aufgaben an der Bi­schofs­kirche. Nach relativ kurzer Zeit verlegte Otto Riedel seinen Wohnsitz an die Kathedrale im Bern­hard-Lichtenberg-Haus.
Für die vielfältigen Probleme als Leiter des Dezernates Personal im pastoralen Dienst von 1991 bis 2000 brachte der Dompropst einen reichen Erfahrungsschatz mit. Als Kaplan, als Regens des Priester­seminars in Westberlin, als Leiter des Dezernates Schule, Hochschule und Erziehung und nicht zuletzt seit 1982 als Theologen- und Priesterreferent war er zum Insider des Westteils des Bistums ge­wor­den. In der Mauer­zeit gehörte Riedel zu jenen Westberlinern, die ständig Kontakt mit der Kirche jen­seits des Brandenburger Tors behielten und nie mit leeren Händen kamen. Sein älterer Bruder, Msgr. Peter Riedel (1992 verstorben), zuletzt Pfarrer der Gemeinde Heilige Familie und vorher Leiter des Seel­sorge­amtes, war seine ständige Anlaufstelle. Auch als Regens besuchte er mit den Westberliner Theo­logie­studenten regel­mäßig die Gemeinden in der brandenburgischen und pommerschen Diaspora.
In Predigten, Aufsätzen und zahlreichen Vorträgen widmete sich Riedel dem Gedächtnis seines Vor­gängers, des großen Anwalts der Menschenrechte, Dompropst Bernhard Lichtenberg, der 1943 auf dem Weg ins KZ Dachau gestorben ist. Krönung seiner Mühen, dem Märtyrer Lichtenberg einen noch größe­ren Bekanntheitsgrad zu verschaffen, war 1996 dessen Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. in Berlin. Der Vespergottesdienst mit dem Papst und dessen Besuch des Grabes von Bernhard Lich­ten­berg waren Höhepunkte in der Amtszeit von Otto Riedel. Auch die Ehrung Lichtenbergs als Gerechter unter den Völkern durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem hat Riedel mit großer Freude voran­getrieben. […]