Geschichte

      Auf dem Gebiet des heutigen Erz­bistums Berlin bestanden ursprüng­lich die beiden ottonischen Mis­sions­­bistümer Brandenburg (948) und Havelberg (948?), die nach dem Slawen­­aufstand von 983 nach­haltiger Repaga­nisierung anheim­fielen und erst in der zwei­ten Hälfte des 12. Jahr­hunderts dauer­­haft re­­orga­nisiert werden konnten. Für das Land bei­der­seits der unteren Oder wurde um 1124 das Bistum Le­bus errichtet. Als Er­gebnis der Missions­tätigkeit des hl. Bischofs Otto von Bamberg in Pom­­mern ent­­stand 1140 das Bistum Cammin (zu­nächst mit Sitz in Wollin). Im Zeitalter der Glau­­bens­­­spal­tung er­­lo­schen nach 1540 die vier ge­nannten Bistümer infolge lan­des­herr­licher Re­for­mation und Säku­la­ri­sa­tion.

      Erst im 18. Jahrhundert wurde katho­lische Seelsorge in der preu­ßisch-branden­­burgischen Zen­tral­­­land­schaft aus Gründen der Staats­­raison wiederzugelassen: zunächst für Diplo­ma­ten, Söld­ner und Rü­stungs­­arbeiter, dann generell. Die ersten katholischen Missions­­sta­tionen waren kei­ne Pfarreien im Sin­ne des ka­no­nischen Rechts. In Branden­­burg und Pom­mern gehörten die Katho­liken weiterhin zu den evan­­­ge­­lischen Gemeinden, in deren Bezirk sie wohn­ten. Bei der Neu­um­schrei­­bung der preu­ßi­schen Di­öze­­sen durch die päpst­­liche Bul­le De salute animarum von 1821 lebten hier – in der Weite des Rau­mes ver­streut – etwa 12.000 Katholiken und zwölf Geistliche. Sie wurden dem je­wei­ligen Propst an St. Hed­wig in Berlin als (Sub-)Dele­gaten des Breslauer Fürst­bischofs unter­stellt. Erst nach der Locke­rung des zuvor streng ge­hand­­habten landes­­herrlichen Summ­episkopats im Ge­folge der Revo­lution von 1848 etablierte sich im Fürst­­bischöf­­lichen Delegatur­bezirk für Bran­den­­burg und Pom­mern ein ultra­mon­taner Diaspora­katho­li­zis­mus mit starkem polnisch­­­sprachigen Ein­schlag am unteren Ende der gesell­­schaft­­­lichen Rang­­ordnung. Dem mit äußer­ster Erbitterung vom preu­ßischen Obrig­keits­­staat ge­führten Kul­tur­­kampf hielt die ka­tho­­lische Minder­heit ohne größere Einbrüche stand. Beträchtlich blie­ben hin­­gegen die Ver­luste in­fol­ge kon­fes­­sionel­­ler Misch­­ehen. In der Phase der Hoch­­indu­striali­­sie­rung und Ost-West-Migra­tion wuchs dann der Ka­tho­liken­­anteil stürmisch an. Diese Ent­wicklung setz­te sich im we­sent­­lichen auch nach dem Unter­­gang der Hohen­­zollern­­monarchie fort. Da­mit wa­ren – trotz er­heb­li­cher kon­­fessionel­ler und poli­ti­scher Vor­behalte – die Vor­aus­setzungen für die Ver­­selb­stän­­digung der De­le­ga­tur geschaffen.

      Gemäß den Be­stim­mun­gen des Preu­ßischen Kon­kor­dats vom 14. Juni 1929, an dem der da­ma­lige Aposto­lische Nuntius Eugenio Pacelli maß­geb­lich beteiligt war, er­­rich­tete Papst Pius XI. am 13. August 1930 durch die Aposto­lische Kon­sti­tution Pasto­ra­lis officii Nostri cura das Bistum Berlin (dioecesis Bero­linen­sis) als Suf­fra­gan der Breslauer Metropolitan­kirche. Voll­zogen wurde die Bis­tums­­­errich­tung am 31. Au­gust 1930 durch den Apo­stolischen Nuntius Ce­sare Orsenigo. Die St.-Hed­wigs-Basilika – nach der Reformation die älteste katho­­li­sche Kirche Ber­lins – wurde Ka­the­­dral­­kirche. Wie der bis­­he­rige Dele­gatur­bezirk so umfaßte auch das neue Bis­tum die preu­ßische Pro­vinz Branden­­burg ohne die Archi­presbyte­rate Neuzelle, Cottbus und Schwie­bus, ferner die Pro­vinz Pommern ohne die Kreise Lauen­burg und Bütow, ohne die Stadt Tempel­­burg und die ehe­­malige Starostei Dra­heim (➚Historische Karte 1930–1945). Bis­tums­­patron wurde wie in Branden­­burg der hl. Petrus, Mit­patron der hl. Otto von Bam­berg (➚Eigen­kalender). Das ➚Bistums­wap­pen führt in ge­vier­tem Schild die Wappen der unter­gegan­genen Bistümer Branden­burg, Havelberg, Lebus und Cam­min. Im Grün­dungs­­jahr lebten im Bistum Berlin auf einer Fläche von 60.258 km² 531.744 Ka­tho­liken (= 7,3 Prozent der Ge­samt­bevölke­rung); von ihnen erfüllten knapp 32 Prozent die Oster­pflicht. Sie wurden in 149 Seel­sor­ge­stel­len von 262 Diözesan­­priestern seel­sorglich betreut.

      Der Diözese war keine Phase ruhiger Konsolidierung vergönnt. Hitlers Terror­regime be­geg­neten die Ber­liner Bischöfe ebenso wie der größte Teil von Klerus und Kirchen­volk in vor­wiegend de­fen­siver Be­wah­rung ihrer kirch­lichen Identität. National­soziali­stischer Ver­folgung fielen min­de­stens 23 Laien und Geist­liche zum Opfer, darunter Dompropst ➚Bernhard Lich­ten­berg, der 1996 als Märtyrer selig­gespro­chen wurde. 18 Pro­zent des Berliner Diözesan­klerus waren von poli­tisch moti­vierten Zwangs­maß­nah­men des Regimes be­trof­fen, 63 Prie­ster wurden zu Frei­heits­strafen verurteilt, 16 erlitten KZ-Haft. Durch Kriegs­­­ein­­wirkung ver­star­ben 32 Diözesan­prie­ster und 17 Theo­logie­stu­denten. 1945 kamen die 33 hin­ter­­pom­mer­schen und neu­mär­­kischen Seel­sorge­­stel­len unter polnische Verwaltung; 1972 ent­stan­den hier die Bis­tümer Stettin-Cam­min (seit 1992 Erzbistum), Köslin-Kolberg und Lands­­­berg/Warthe (seit 1992 Grün­berg-Lands­berg).

      Das um die Hälfte sei­ner Fläche re­du­zierte Bistum lag nun in der So­wjetischen Be­sat­zungs­zone mit der Vier-Sektoren-Stadt Berlin im Zen­trum. Von 278 Kirchen und Kapel­len waren nur 30 un­versehrt ge­blie­ben, 40 wurden voll­ständig zerstört und 57 schwer be­schä­digt. Neben dem Rück­strom der Eva­kuierten und De­por­tierten setzte eine lawinen­artige Zu­wanderung von Flücht­­lingen und Ver­­trie­benen ein. 1950 zähl­te das Bistum Berlin 657.358 Katholiken und erreichte da­mit zah­len­mäßig seinen bis­herigen Höchst­­­stand. Zur Klä­­rung der eigenen Position auch für die Zu­kunft hatte 1947 ➚Konrad Kar­di­nal von Prey­sing sei­nem Klerus jegliche Stellung­nahme zu Zeit­fragen im Namen der katholischen Kir­che un­ter­sagt. Dieser Preysing-Er­laß blieb un­ter allen Berliner Bischöfen Richtlinie für die Aus­­ein­ander­­setzung mit dem SED-Regime. Die Ein­for­derung verbriefter Glaubens- und Ge­wis­sens­­frei­heit stand stän­­dig unter Oppositions­­verdacht und zog je nach all­­gemei­ner poli­tischer Lage ideo­­logische oder or­gani­sa­­torische Bedrückung der Kirche nach sich.

      Eine Zäsur in der Geschichte des kirchlichen Lebens im Bistum Berlin markierte die Re­zep­tion des II. Vati­ka­nischen Konzils (1962–1965). Von der Eigendynamik der kon­ziliaren wie der gesell­schaft­lichen Re­­­form­­­­euphorie inspiriert, wurden fast alle Gottes­häuser mit erheb­­lichem finan­­ziel­len Auf­wand um­­gestaltet und die Altäre zum Volk hin gewendet. Die latei­nische Kirchen­sprache ver­schwand beinahe voll­ständig aus Meß­­feier und Sakra­­men­ten­­spen­dung. Die anthro­polo­gi­sche Wende in der Ver­­kün­di­gung ging einher mit einem Ver­lust an dogma­tischer Ver­bind­­lich­keit. Es vollzog sich ein Gestalt­­wandel der Kirche, der in sei­ner Breite nur mit den Vor­gän­gen der Refor­mations­epoche zu ver­gleichen sein dürf­te (W. Dam­berg / G. Mu­schiol). Als be­son­ders signifikant gelten eine bisher un­bekannte De­regu­lierung und Indivi­dualisierung in der reli­giösen Praxis der Katholiken. Allein zwischen 1966 und 1976 ver­­­lor das Bistum Berlin knapp die Hälf­te der regel­mäßigen Sonn­tags­­meß­besucher. Die Zahl der Prie­ster- und Ordens­­berufe ist ten­­den­­ziell rück­läufig.

      Auch in politischer Hinsicht gestal­teten sich die Rah­men­bedin­gungen weiterhin bedrohlich. Der Mauer­­bau (1961) an der Naht­stelle der Systeme gefährdete nachhaltig die Einheit des Bis­tums. Diözese und Domkapitel blieben ungeteilt; die Bistums­verwaltung zer­fiel je­doch in zwei Or­di­na­riate, die seit 1967 jeweils von einem General­vikar geleitet wurden. Die Berliner Bischöfe re­sidierten ge­zwun­ge­ner­maßen in Ost-Ber­lin. Tage­weise durften sie ihre bischöf­lichen Funk­tio­nen auch in West-Berlin aus­üben, das eine le­­bens­­wich­tige Funk­tion für den Ostteil der Di­özese als Dreh­­scheibe unter­­­schied­­­lich­ster cari­ta­ti­ver und fi­nan­­ziel­ler Hil­fe­leistungen besaß. Kirche und Senat regelten gemein­sam interes­sie­rende Fra­gen 1970 in einem kon­kor­dats­ähn­lichen ab­­schließen­den Proto­koll. Da­mit konnten die West-Berliner Ka­tho­liken – mit Aus­­nah­me des schul­­plan­mäßi­gen Reli­gions­­unterrichts – weit­ge­hend an der günstigen Ent­­wicklung des Staats­­kir­chen­systems der Bun­des­­republik teil­ha­ben, das nach der Wende auf das ge­­sam­te Bis­tum aus­­gedehnt wurde. Zum 1. Sep­tem­ber 1990 stellte die Diözese ihre Ver­­wal­tungs­­ein­heit wieder her; das Bi­schöf­­liche Ordi­nariat Berlin wird seit­dem wieder von einem einzigen General­­vikar geleitet. 1994 erhob Papst Jo­han­nes Paul II. das bisher exemte Bistum Berlin – es war 1972 aus der Breslauer Kir­chen­­provinz her­­aus­­­gelöst und dem Heili­gen Stuhl un­mittelbar un­ter­stellt wor­den – zum Erz­bistum, errichtete die Kirchen­­­provinz Berlin mit den Suffra­gan­­bis­tümern Dresden-Meißen und Gör­litz und ernannte den Bischof von Berlin zum Metro­politen.

      Die zentrale Über­lieferung des Bis­tums Berlin und seiner Vorgänger­institution – der Fürst­bi­schöf­lichen De­le­ga­tur für Brandenburg und Pommern (1821–1929) – war in der Bomben­­nacht vom 23./24. No­­vem­­ber 1943 verbrannt (➚Faksimile). Nur die Akten des Hilfs­werks beim Bischöf­lichen Ordinariat Berlin für die als Nicht­arier verfolgten Katholiken und ihre Angehörigen haben den Krieg weit­gehend un­bescha­det über­standen und be­fin­den sich heu­te im Diözesan­archiv, dessen Neu­auf­bau durch die allgemeinen Rah­men­bedin­gungen er­heblich er­schwert wurde. Nach vier­jähriger Vorbereitung wurde 1970 das Archiv des Bis­tums Berlin (West) in Kel­ler­räumen der Theo­­logisch-Pädago­­gischen Akademie ein­gerich­tet und 1973 in das St.-Ot­to-Haus ver­legt. We­gen Raum­mangels mußten bereits we­nige Jahre später Teile des Archivs vorübergehend aus­gela­gert wer­den. 1987 fand das Archiv eine neue Bleibe im ehe­maligen Fran­zis­kaner­kloster in Berlin-Tem­pel­­hof. In Ost-Ber­lin wur­de 1980 im Bernhard-Lichten­berg-Haus das Bistums­­archiv Berlin er­rich­tet. Beide Archive konn­ten 1995 in den erweiterten Räum­lich­k­eiten in Berlin-Tempel­­hof zu­sam­men­­geführt wer­den. Die Be­stands­bereini­gung wur­de 2003 ab­geschlos­sen. Seit 2005 be­findet sich das Diözesan­­archiv im ➚Kirch­lichen Archiv­zentrum Berlin, dem gemein­samen Domizil von EZA (➚Evan­ge­li­sches Zentral­archiv in Berlin), ELAB (➚Evangelisches Landes­kirch­liches Archiv in Berlin) und BMW (➚Archiv des Ber­liner Missions­werkes).